Rezeption V – […], Rammer, Wittje, Markert et al.
Pohl innerhalb der Wissenschaftsgeschichte
Da schon im März des kommenden Jahres meine Stelle ausläuft und ich ab Januar parallel eine neue Stelle in Jena antrete, wird dies hier mein vorletzter Beitrag sein. Abschließen möchte ich den Blog zum Projekt mit einem knappen Abschlussbericht in zwei Schritten: Der erste, hiermit vorliegende Teil wird meine eigenen Aktivitäten als vorerst letzten Rezeptionsschritt von Pohls pädagogischem Werk benennen. Der zweite, im späteren Dezember folgende, wird das im Rahmen des Projektes gehobene und genutzte Material vorstellen, dass in der kurzen Laufzeit teilweise kaum näher untersucht werden konnte und vielleicht als Ausgangspunkt für zukünftige Forschungsprojekte dient.
Projektvorgeschichte
Als ich im April des vergangenen Jahres mit diesem Projekt begann, war auch wegen Corona zunächst nicht absehbar, wie ungeheuer dicht die im Blog ja auch schon vielfach thematisierte Überlieferung zu Pohl vor Ort sein würde. Gerade auch deshalb konzentrierte ich mich auf die überschaubare, aber einschlägige physik- bzw. wissenschaftshistorische Sekundärliteratur zu Pohl, seiner Pädagogik, aber auch Forschung. Wie so oft beginnt auch bei Pohl eine historische Einordnung mit kürzeren Artikeln zu runden Geburtstagen (z. B. Gudden 19447SLBHZJ7, Mollwo 1959CT78BYZV, Stasiw 196453HQ9J69, Martienssen 1974HB7B6ZKA) sowie den Würdigungen nach seinem Tod im Jahr 1976 (z. B. Hecht 19768JCNUUWX, von Minnigerode 1976Z79QRFMG, Achilles 19773AI7X5JN, Mollwo 1978I7ENXT3J). Eine erste Positionierung in der Geschichte der Festkörperphysik findet sich mit dem Beginn der 1980er Jahre (Braun 1980HPKH63L6), was im Verlauf des Jahrzehnts insbesondere von Jürgen Teichmann am Deutschen Museum München weiter differenziert wurde (Teichmann 1988YZVB8SBT, 1990A8RQJEQW, Eckert & Schubert 1989Q9RH4AYC). Ebenfalls zu dieser Zeit wird erstmals die Frage nach Pohls Rolle an der Göttinger Universität im Nationalsozialismus gestellt (Rosenow 1987V244CDIP), womit sich später besonders ausführlich Gerhard Rammer beschäftigte. In seiner Dissertation zur personellen Situation an der Göttinger Physik im Nationalsozialismus charakterisiert er ausgesprochen dicht die Persönlichkeit Pohls, seinen Forschungs- und Lehrstil (Rammer 2004K4G595V4). Im Jahre 2011 schließlich widmet sich Roland Wittje konzentriert letzterem in einem Sammelband mit dem passenden Titel „Learning by doing“. Dieser Artikel, der die wesentlichen Merkmale des ‚Lehrsystems Pohl‘ erfasst (Wittje 20112HX7L6VX, s. a. Kosmos Pohl I – Der Hörsaal als Infrastruktur), wurde zum zentralen Ausgangspunkt des von mir nun durchgeführten Projektes.
Schwerpunkte der Bearbeitung
Wie auch bei meinem vorherigen Projekt zur Geschichte der humanembryologischen Blechschmidt-Sammlung in der Göttinger Anatomie war es mir wichtig, einen Überblick über alle noch vorhandenen Artefakte aus der jeweiligen Zeit zu gewinnen (vgl. insbes. Markert 2020WLRHUZFM). Oft zeigt sich deren Bedeutung erst zu einem späteren Zeitpunkt bzw. muss erst das entsprechende Wissen aufgebaut werden, um es einordnen zu können. Zum einen bedeutete dies, dass alle potentiell relevanten Dinge erst einmal gefunden werden mussten, was neben Gesprächen mit Mitarbeiter:innen auch zahlreiche Suchbewegungen in Lehrsammlung, historischem Depot und Physicalischem Cabinett erforderte.
Zum zweiten waren diese Dinge aber auch so zugänglich zu machen, dass ich sie auswerten und für meine historische Forschung benutzen konnte: Von den vielen Hundert Equipment-Bausteinen Pohls in der physikalischen Lehrsammlung wurden einige exemplarisch durch meine beiden studentischen Hilfskräfte Marie-Luise Ahlig und Lara Siegers fotografisch digitalisiert. Digitalisate wurden durch sie weiterhin von fotografischen Abzügen aus dem Familienarchiv Pohl sowie von Zeichnungen auf Millimeterpapier angefertigt, die von den Mechanikern und Technikern ab 1921 für die Vorlesungsvorbereitung angefertigt wurden. Besonders wichtig waren Digitalisate für mich im Falle einer umfangreichen Sammlung von Glasplattennegativen, auf denen Schatten- und andere Projektionen festgehalten wurden und überarbeitet in die Bücher Pohls Eingang fanden. Wegen des schwierigen Handlings der empfindlichen Platten ist in meinen Augen eine Digitalisierung die Voraussetzung dafür, derartige Negativ-Konvolute überhaupt weiterverwenden zu können.
Ein zweiter Fokus neben den Dingen selbst war deren Nutzung in der Vorlesung. Über die damit verbundene Feldforschung und das Filmprojekt habe ich an anderer Stelle schon berichtet (vgl. Konzept IV – Pohl-Forschung in der Pandemie). Der Schwerpunkt lag hier auf der gegenwärtigen Nutzungspraxis und damit darauf, wie die Vorlesungstechniker mit dem historischen Equipment umgehen, wie Techniker und Dozent:in während der Vorlesung interagieren und welche Rolle Pohls Versuche heute überhaupt spielen.
Und ein dritter Schwerpunkt war natürlich die ‚klassische‘ Archivarbeit, die Sichtung von Korrespondenzen, Inventarverzeichnissen, Bestellbüchern und anderen Schriftstücken vorrangig aus der Zeit Pohls. Hier hatte ich das große Glück, nicht nur insbesondere das Universitätsarchiv, das Stadtarchiv mit dem Nachlass der Firma Spindler & Hoyer sowie das Springer-Verlagsarchiv nutzen zu können, sondern auch das Familienarchiv Pohl, betreut von Robert Wichard Pohls Sohn Robert Otto Pohl. Herr Pohl hat mir mit seiner offenen, herzlichen Art die Arbeit sehr einfach gemacht, aber auch dadurch, dass er über Jahrzehnte viele Tausend Briefe seines Vaters transkribiert und in Word-Dokumenten abgelegt hat. Gerade dieser bisher private, auf einem Dachboden gelagerte Teil der Pohl-Überlieferung hat ein großes Potential für Anschlussprojekte, wie ich im nächsten Blogbeitrag berichten werde.
Projekt-Output
Vor allem Dank der tollen Mitarbeiter:innen in der Physik, dem umfangreichen Quellenmaterial und der breiten Anlage meines Projektes ist es mir möglich, eine ganze Reihe von Aspekten der Pohlschen Lehre in unterschiedlichen Formaten in den Blick zu nehmen. Derzeit in Begutachtung ist ein Artikel für einen Sammelband mit dem Arbeitstitel „Learning with light & shadows. Educational lantern and film projection, 1860–1990“ des belgischen B-magic-Forschungsverbundes, der sich mit der Geschichte der Diaprojektion in Lehre und Öffentlichkeit beschäftigt und im Frühjahr 2022 erscheinen soll. Ich werde in meinem Beitrag darin das Verhältnis der Projektionstechniken Pohls zu anderen in der Physik sowie dem Film und natürlich der Diaprojektion fokussieren.
Darüber hinaus sitze ich gerade am letzten Kapitel eines Manuskripts zu einem Überblicksartikel, der Pohls Lehre in ihren disziplinären und lokalen Kontext einbettet, sowie die Entwicklung und vielfältige Rezeption des „System Pohl“ charakterisiert. Ich hoffe, das dieser Text noch in diesem Jahr fertig wird, damit ich die letzten Monate im Projekt für ein weiteres Manuskript nutzen kann, dass sich auf die pädagogische Dimension konzentriert und vor allem danach fragt, welche Merkmale im Werk Pohls dafür verantwortlich sind, dass es für viele Jahrzehnte als Blaupause physikalischer Lehre an Schule und Hochschule diente.
Bereits abgeschlossen ist das schon thematisierte Filmprojekt zur aktuellen Lehre mit Pohls Apparaten und Versuchen in Göttingen, dass die Kulturanthropologin Sofia Leikam und ich umgesetzt haben (vgl. Konzept IV – Pohl-Forschung in der Pandemie). Die 25-minütige Dokumentation wird spätestens im Frühjahr 2022 dem Konvolut von Pohl-Versuchsfilmen auf den Servern der Technischen Informationsbibliothek in Hannover hinzugefügt. Schon verfügbar ist ein Experimental-Vortrag, den der Kustos des Physicalischen Cabinetts Daniel Steil und ich am 25.11.2021 im Rahmen der Reihe „Sach-Verstand. Forschung mit Objekten aus Göttinger Sammlungen“ aufgezeichnet haben (Link zum Film).
Daniel Steil hat mir vor einiger Zeit zudem vorgeschlagen, im Physicalischen Cabinett eine Vitrine zu Pohl zu gestalten, was ich natürlich gern tue. In dieser Woche gebe ich die Drucksachen in Auftrag, spätestens im Januar wird sie eingerichtet. Und erst ab Januar und bis voraussichtlich September 2022 läuft die Entwicklung und Umsetzung einer digitalen Ausstellung zu Pohls Lehre und den Projektergebnissen, die ich dann aus der Ferne betreuen werde. Für die Arbeit an der Ausstellung konnte ich zwei Studierende des Studiengangs „Museum und Ausstellung“ an der Universität Oldenburg gewinnen. Ich bin gespannt auf die gemeinsame Arbeit, auch weil wir alle nicht vor Ort sein werden, was aber vielleicht (und hoffentlich) bei einer digitalen Ausstellung auch nicht ins Gewicht fällt.