Schattenprojektionen

Blog des Forschungsprojektes „Projektionen. Die Lehrsammlung Robert Wichard Pohl“

February 26, 2021

Bedingungen III — Punktlicht im Spotlight

Der Kohlebogen in der Lehre

Im vorletzten Blogbeitrag (Kosmos Pohl III – Reiter, Linsen, Apparate) habe ich ohne nähere Erläuterung die Lichtquelle in einem Versuchsaufbau als „Bogenlampe“ bezeichnet. Dieses für Pohl und inzwischen auch für mich ganz selbstverständliche Gerät ist heute weitestgehend unbekannt, aber entscheidend für die historische Versuchspraxis. In der Zeit Pohls war eine Vielzahl von Lichtarten im Einsatz. Wright (19067P7EUB8K) unterscheidet in seinem Werk „Optical Projection“ zwischen Paraffin- und Petroleumlampen, Gaslampen und elektrischen Lampen. Der bekannteste Typ der Gaslampe war das heute im Englischen sprichwörtliche „Limelight“ oder Kalklicht, bei dem ein mit einem Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch betriebener Brenner auf einen Kalkzylinder gerichtet wird, der daraufhin zu glühen anfängt und weißes Licht abgibt. Es war die bevorzugte Lichtart in der wissenschaftlichen Projektion, Theaterbeleuchtung und Kinoprojektion im ausgehenden 19. Jahrhundert, allerdings sehr arbeitsintensiv: Wright (19067P7EUB8K: 42-91) wendet knapp 50 Seiten auf, um die Justage und Pflege der Brenner, aber auch die Erzeugung, Lagerung und Vorbereitung der Gase zu erläutern. 

Die Bogenlampe um 1900

Um 1900 verbreitete sich im Wissenschafts- wie auch im Unterhaltungsbereich die deutlich einfacher zu handhabende elektrischen Beleuchtung. Die benötigten großen Leuchtstärken wurden dabei nicht mit den später üblichen Filamentleuchtmitteln oder Glühfadenlampen erreicht, sondern mit Kohlebogenlampen, bei denen durch den Stromfluss ein Lichtbogen zwischen zwei eng beieinander stehenden Kohleelektroden erzeugt wird. Für Projektionsanwendungen vor großem Publikum waren sehr leistungsstarke Geräte mit bis zu 50 Ampere Stromstärke erhältlich, die wegen der entstehenden Abwärme aber auch entsprechend große Gehäuse benötigten. Ein Beispiel dafür ist der vom Chemnitzer Lehrmittelvertrieb Max Kohl angebotene, komplexe Universalapparat „Megadiaskop“ (Max Kohl AGVT9FU7CQ: 1203 ff.), der gleichermaßen für Durchlicht-, Auflicht- und Mikroprojektion geeignet war und die erhitzte Luft über einen kleinen Schornstein in der Mitte des Gerätes nach außen leitete. 

Megadiaskop von Max Kohl (1910VT9FU7CQ: 1206) in der „kleinen“ Ausführung (https://archive.org/details/pricelistno5000kohlrich).

Im Kern besteht auch dieser sperrige Universalapparat (von der Auflicht-Einheit abgesehen) nur aus einigen wenigen Bauteilen: Der eigentlichen Bogenlampe mit den beiden meist im 90°-Winkel zueinander stehenden Kohlen als Lichtquelle, einem Kondensor aus zwei Sammellinsen, der das erzeugte Licht in Projektionsrichtung bündelt, ggf. einem Wärmefilter (meist einer Flüssigkeit), um das zu projizierende Objekt nicht zu überhitzen sowie einer Projektionslinse hinter dem Objekt in Richtung Projektionsfläche, um ein scharfes Abbild zu erzeugen. Dieses Prinzip ist in einem von Wright als „German Lantern“ (Wright 19067P7EUB8K: 153) bezeichneten, eher kompakten Aufbau verwirklicht, auch wenn seinerzeit noch keine Bogenlampen verwendet wurden. 

Der von Wright als „German Lantern“ bezeichnete Projektionsapparat aus dem späten 19. Jahrhundert (Wright 19067P7EUB8K: 153).

Pohls Beleuchtungssetup

Als Laborwissenschaftler war Pohl die flexiblen Aufbauten der optischen Bank gewohnt und sicherlich deshalb orientierte er sich für seine didaktischen Projektionen eher am Prinzip der „German Lantern“ als dem „Megadiaskop“, wie auch am hier einleitend erwähnten Versuchsaufbau im Beitrag Kosmos Pohl III – Reiter, Linsen, Apparate gut erkennbar ist. Soweit bekannt verwendete er in allen seinen Projektionsaufbauten den gleichen Bogenlampentyp, ein kompaktes Modell mit der verhältnismäßig kleinen Stromstärke von 5 Ampere. 

Eine der Bogenlampen Pohls mit teilweise geöffnetem Gehäuse. Es sind die beiden unterschiedlich dicken Kohlen zu sehen (Foto: Marie-Luise Ahlig & Lara Siegers).

Doch selbst damit war es ihm möglich, mit einem fest montierten Bildwerfer von Reihe 9 seines Hörsaals aus Dias in Abmessungen von vier mal drei Meter an die Frontwand zu projizieren. Der dafür nötige Aufbau belegte nur einen einzigen Sitzplatz, anders als die vielerorts üblichen „zentnerschweren Projektionsmaschinen“ (Pohl 1933JHSPVGP7: 410).

Der fest installierte Diaprojektor in Pohls Hörsaal (Foto: Glasnegativsammlung im Depot des Physicalischen Cabinetts, I. Physikalisches Institut der Universität Göttingen).

Wie Pohl dem Kurator der Universität 1927 und damit kurz nach dem Hörsaalumbau (vgl. Kosmos Pohl I – Der Hörsaal als Infrastruktur) mitteilte, hatte er während der Vorlesung oft fünf Projektionsapparate gleichzeitig im Einsatz (Universitätsarchiv Göttingen, Kur. 7467, pag. 383) — für Dias, Versuchsobjekte und nicht zuletzt natürlich auch die Erzeugung von Schatten der ganzen Aufbauten. Nicht zufällig war die Bogenlampe im Theater und in Pohls Hörsaal gleichermaßen beliebt. Es handelt sich bei dem kurzen Lichtbogen um eine fast punktförmige Lichtquelle, viel schmaler als der Faden etwa einer Wolfram- oder später Halogenglühlampe. Mit dem Lichtbogen erzeugte Schatten haben deshalb extrem scharfe, silhouettenhafte Kanten. 

Der Kohlebogen als didaktisches Werkzeug

Mit der 5-Ampere-Bogenlampe nutze Pohl eine universelle Lichtquelle, die sich für alle relevanten Beleuchtungsanwendung im Hörsaal von der Projekton mikroskopisch kleiner Objekte bis zur Schattenprojektion ganzer Versuchsaufbauten gleichermaßen eignete. Sie war aber auch in besonderer Weise didaktisch wertvoll: Erstens konnte Pohl während der Vorlesung mit aus der Unterhaltungskultur vertrauten Techniken die Aufmerksamkeit auf der Bühne verlagern und immer genau das ins „Spotlight“ bringen, was auch gerade im Zentrum stehen sollte. Zweitens waren im Schein der Bogenlampe gleichzeitig das vergrößerte, auf die Konturen reduzierte Schattenbild und der referenzierte physikalische Apparat präsent (vgl. auch Bedingungen I – Die Hand von Graf Orlok), was das Verständnis in beide Richtungen erleichterte. Und drittens wurde mit der Lampe eine starke Verbindung zwischen Vorlesung und Lehrbuch etabliert: Hörsaaltechniker Sperber fotografierte die Schattenrisse der Versuchsaufbauten und entwickelte sie auf „extra hartem“, d. h. kontrastverstärkendem, Positivpapier (Achilles 2012RXBI8X2D: 20) als Vorlage für die Buchabbildungen. Die abgedruckten Schwarz-Weiß-Silhouetten der Versuche (etwa Konzept I – Performanz von Lehre) sind also dem Hörsaaleindruck nicht nur ähnlich, sondern stehen zu ihm in einer direkten, lichtvermittelten Beziehung.